Der Schwindel mit dem MSC-Siegel

Die Wahrheit über das größte Fischerei-Logo aufgedeckt

BLOOM und seine Co-Autoren von den Universitäten von New York (USA) und Dalhousie (Kanada) haben gerade eine neue Studie veröffentlicht, die nachweist, dass vom MSC (Marine Stewardship Council) mit dessen Siegel als  „nachhaltig“ zertifizierte Fischereien vorwiegend industriemäßige sind, die oft mit zerstörerischen Fangpraktiken arbeiten – ganz im Gegensatz zur öffentlichen Selbstdarstellung des MSC.

> Die weltweit schlimmsten Fangmethoden wie Grundschleppnetze und Dredgen machten zwischen 2009 und 2017 ganze 83 % des MSC-zertifizierten Fangs aus

1997 schwappte eine Welle von Optimismus über die internationale Gemeinschaft der Meeresumweltschützer. Diese Euphorie in einer Zeit der zunehmenden Zerstörung der marinen Ökosysteme war der Schaffung des MSC-Siegels zu verdanken. Das Label des Marine Stewardship Council  (MSC) sollte die breite Öffentlichkeit und damit die gesamte Fischereiindustrie zur Nachhaltigkeit „hinführen“. Die Bürger könnten endlich Fisch „ohne Schuldgefühle” kaufen.[1] Zwanzig Jahre später bleibt nur bittere Ernüchterung bei den Wissenschaftlern und NGOs, die den Ansatz und die Einführung dieses Umweltzeichens mitgetragen hatten – ursprünglich vom WWF und dem Lebensmittelgiganten Unilever geschaffen und zwischenzeitlich das weltweit führende Ökosiegel für Meeresfisch.

Die zunächst zaghaften Kritiken wurden immer zahlreicher und heftiger; sie stellen sowohl den mangelnden Anspruch des Labels und die Anwendung seiner Standards als auch die Unparteilichkeit des Zertifizierungsprozesses in Frage. MSC-Verantwortliche wiederholten gegenüber Kritikern immer nur, das Label garantiere, dass „keine destruktive Fischerei“ praktiziert werde.[2] Eine unzählige Male wiederholte, doch nie überprüfte Behauptung.

Dies wurde nun getan.

BLOOM und seine Co-Autoren haben eine umfassende Analyse aller MSC-zertifizierten Fischereien seit Anbeginn des Siegels erstellt. „Unsere Ergebnisse lassen keinen Zweifel am Ausmaß des MSC-Etikettenschwindels: Im krassen Gegensatz zu seinen Behauptungen zertifiziert das MSC-Siegel vorwiegend industrielle, zerstörerische Fischereipraktiken“, erläutert Frédéric Le Manach, wissenschaftlicher Leiter von BLOOM und Hauptautor der Studie.

Darüber hinaus haben wir die Öffentlichkeitsarbeit des MSC untersucht und entdeckt, dass das Label dieses Grundübel vertuscht, indem es die kleine, schonend arbeitende Küstenfischerei besonders hervorhebt“, fährt er fort.

-> Lesen Sie die Studie von BLOOM et al. [3] auf Englisch oder Französisch sowie unser die Studie zusammenfassendes Advocacy-Dokument.

Der MSC ist ein Hindernis für nachhaltige Fischerei geworden

Indem der MSC die kleinen Küstenfischer in seiner Öffentlichkeitsarbeit instrumentalisiert, betreibt er ein „Greenwashing“ des industriell betriebenen Fischfangs und erleichtert dessen Marktzugang oder Weiterbestand auf dem Markt. Und dies genau in dem Moment, wo das Misstrauen der Verbraucher gegenüber industriellen Produktionsmethoden wächst. Nie war ein Feigenblatt für die Industrie nützlicher als jetzt, wo die Bürger, die Lügen und Lebensmittelskandale satt haben, die Verantwortungslosigkeit der Industrie erkennen und auf andere Gewohnheiten und Konsumkreisläufe umschwenken.

Wir glauben nicht mehr an den MSC. Wir trauten ihm in der Vergangenheit, aber er ist zu weit abgedriftet und nicht mehr zu retten. Der MSC ist ein Hindernis für nachhaltige Fischerei geworden. Als Marketinginstrument für die industriell arbeitenden Fischer der Welt verhindert er jetzt einen auch nur ansatzweisen Strukturwandel im Fischereisektor, indem er die schlimmsten Fangpraktiken legitimiert“, kommentiert Frédéric Le Manach. Gerade jetzt, wo die Bürger mehr denn je bereit sind, untadelige lokale Fischfangpraktiken zu unterstützen, werden sie im Stich gelassen, denn es fehlt ihnen ein zuverlässiges Instrument für den verantwortungsvollen Einkauf. In BLOOMs Advocacy-Dokument wird der Einzelhandel aufgefordert, sich nicht mehr zum Komplizen der MSC-Lügen machen zu lassen und anstatt sich hinter dem irreführenden Logo zu verstecken lieber strenge Anforderungen an den eigenen Einkauf zu stellen.

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Zur Vertiefung

Zusammenfassung der Ergebnisse

– BLOOM und seine Co-Autoren von den Universitäten von New York (USA) und Dalhousie (Kanada) haben aufgezeigt, dass die industrielle Fischerei mit stark negativen Auswirkungen 83 % der MSC-zertifizierten Fänge ausmacht, aber nur auf 32 % der Werbefotos zu sehen ist.

– Dagegen entfielen auf die kleine, schonend arbeitende Fischerei nur 7 % der zertifizierten Mengen, aber 47 % der Illustrationen.

Methodik

Die Berichte von fast 500 Fischereibewertungen wurden analysiert, um die Verteilung der MSC-zertifizierten Fänge nach Fanggerät und Größenordnung zu ermitteln. Ausgewertet wurden alle verfügbaren Daten von den ersten zertifizierten Fischereien im Jahr 2000 bis zu den letzten gesammelten Daten Ende 2017.

Alle Bilder (fast 400), die eine Fischereitätigkeit zeigen, stammen aus sämtlichen online einsehbaren MSC-Berichten sowie von der internationalen Facebook-Seite des MSC. Diese Analyse beginnt erst 2009, da vor diesem Datum kein offizielles Dokument online verfügbar war. Die Bilder wurden analysiert und mit den zertifizierten Fangdaten verglichen.

Hauptkritiken am MSC

-Die Kriterien für die Erlangung des Siegels sind lasch: Jede Fangmethode, selbst die destruktivste, kann zertifiziert werden. Nur Sprengstoff- und Giftfischerei sind von der MSC-Zertifizierung ausgeschlossen.

-Die für die Bewertung der Fischerei zuständige Firma wird vom … Fischereibetrieb ausgewählt und bezahlt! Das MSC-Modell basiert auf der Grauzone der Korruption: Klientelismus, Interessenkonflikte, Parteilichkeit.

-Bürger und NGOs sind ohnmächtig, wenn sie mit einer Zertifizierung nicht einverstanden sind: Das bestehende Einspruchsverfahren ist sehr kostspielig und völlig ineffektiv. Bisher sind die Einspruchsverfahren größtenteils gescheitert. Denn das MSC-Verfahren kultiviert die Kunst, Interessenkonflikte zu verniedlichen: Der bei Einsprüchen tätig werdende „Schiedsrichter“ wird vom MSC ausgesucht und bezahlt!

Auf einen Blick

1997 Der WWF und Unilever schaffen das MSC-Siegel, um eine „marktbasierte Lösung“ für die Überfischung zu finden. Der MSC wird als gemeinnützige Organisation gegründet.

2000 Die ersten Fischereien werden zertifiziert.

2017 210 Fischereien sind zertifiziert (am 31. Dezember).

2019 Der MSC ist nun führend: Er zertifiziert 15 % der jährlichen Fänge der Welt. Fast 40 000 Produkte bzw. 1 Mio. Tonnen Fisch und Meeresfrüchte tragen das MSC-Logo. Handelsriesen wie Walmart, Carrefour, McDonalds, Ikea oder Amazon (Frischwaren) verkaufen – z. T. ausschließlich – MSC-zertifizierten Fisch und Meeresfrüchte.[4]

2019 Die Lizenzgebühren für MSC-zertifizierte Produkte bringen der Marke 25 Mio. Euro pro Jahr ein, 80 % der MSC-Einnahmen. IV

2020 Eine Recherche ergibt, dass der MSC ein Nettovermögen von fast 40 Mio. Euro hat (Gebäude, Bankeinlagen, Finanzinvestitionen usw.)[5] und somit eine klassisch kapitalistische Körperschaft ist, weit entfernt von selbstloser Gemeinnützigkeit.

 

[1] Siehe z. B. http://back-from-the-brink.msc.org/

[2] Rede des MSC Vorstandsvorsitzenden Rupert Howes auf der Seafood Expo in Brüssel im April 2018, verfügbar unter: www.youtube.com/watch?v=bMMAOzyjd_M

[3] Alle zugrundeliegenden Daten und Verarbeitungsskripte sind verfügbar unter: http://dx.doi.org/10.17632/gpynbmn7f9.1.

[4] Siehe Tätigkeitsbericht 2018 – 2019 des MSC unter: https://www.msc.org/docs/default-source/default-document-library/about-the-msc/msc-annual-report-2018-2019.pdf

[5] Fiorillo (2020), verfügbar unter: https://www.intrafish.com/opinion/why-is-the-marine-stewardship-council-hoarding-its-cash-/2-1-758524

 

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